„Wir scheinen nichts aus der Vergangenheit gelernt zu haben, unsere so genannte ‚zivilisierte’ Welt wird immer noch von persönlichen und globalen Gräueltaten beherrscht. Von Selbstmordbombern im Nahen Osten und ethnischen Säuberungen auf dem Balkan über die homophobe Rhetorik christlicher Fundamentalistenprediger hin zu den Aktivitäten westlicher Regierungen in ihrem ‚Krieg gegen den Terror’. Es gibt immer jemanden, in dessen Augen wir ‚subhuman’ sind.“
Nach fünfjähriger Aufnahmepause meldet sich der Musiker/Produzent Alan Wilder mit seinem fünften Recoil-Studioalbum zurück. ‚ subHuman’ wird am 6. Juli 2007 veröffentlicht.
Im Laufe seiner 30 Jahre in der Musikindustrie hat Alan Wilder in den unterschiedlichsten Bereichen gearbeitet – vom Studioassistenten bis hin zum Sessionkeyboarder -, doch erst in den 14 Jahren bei Depeche Mode haben seine Qualitäten den letzten Schliff erhalten. Wiederholt als treibende musikalische Kraft anerkannt und beispielhaft für seine Detailliebe im Studio, ist es Wilder gelungen, die Grenzen selbst im restriktiven Klima des kommerziellen Pop weiter auszudehnen. Als Gegenpol zu den Anforderungen von Depeche Mode gründete er Mitte der Achtzigerjahre sein Studioprojekt Recoil, und die daraus hervorgegangenen Alben ‚Hydrology’ (1988) und ‚Bloodline’ (1990) unterstrichen beide den Eindruck seines immer weiter werdenden Horizonts. Nach seiner Trennung von Depeche Mode im Jahr 1995 ließ Wilder Recoil als Fulltime-Projekt auferstehen und brachte 1997 ‚ Unsound Methods ’ heraus, gefolgt von ‚Liquid’ drei Jahre später, die beide von der Kritik mit viel Beifall bedacht wurden.
Bei seinem jüngsten Werk bestand Wilders erste Priorität darin, sein Studio (‚The Thin Line’) zu aktualisieren und sich wieder mit dem Metier des Schreibens, Arrangierens und Aufnehmens von Musik vertraut zu machen; immerhin können fünf Jahre in der schnelllebigen Welt der Technologie wie eine Ewigkeit erscheinen. „Ich hatte buchstäblich vergessen, wie man den Großteil des Equipments bedient, ganz besonders den Umgang mit der Software, wie Logic Audio. Mein Computer war so veraltet wie die Programme, die ich darauf installiert hatte.“
Während der Wintermonate 2006 gelang es Alan trotz seines technologischen Nachholbedarfs, neues Material zusammenzustellen, und bereits im Frühjahr schaute er sich nach geeigneten Sängern um. Wilder hatte in der Vergangenheit mit so unterschiedlichen Künstlern wie Mute-Kollegin Diamanda Galás, den Spoken-Word-Künstlerinnen Nicole Blackman, Samantha Coerbell und Maggie Estep, Douglas McCarthy von Nitzer Ebb, Toni Halliday (Curve), Sonia Madden (Echobelly), Moby und vielen anderen zusammengearbeitet.
‚subHuman’ entstand in Kollaboration mit Bluesman Joe Richardson, dessen unter die Haut gehender Gesangsstil von seinen erstklassigen Gitarren- und Mundharmonikaleistungen unterstützt wird. Der im südlichen Louisiana geborene Richardson verbrachte Jahre seines Lebens auf der düstereren Seit von New Orleans und liefert bewegende Kommentare über Konflikte, Religion, Eingesperrtsein und persönliche Schwierigkeiten. Seinen Weg zu Recoil fand er allerdings auf etwas ungewöhnliche Weise:
„Ich googelte ‚Bluesänger/Songwriter’ und stieß auf Joe. Der markante Klang seiner Stimme und sein minimalistischer Stil gefielen mir sofort. Auch die dunkle Stimmung und Thematik schienen mir maßgeschneidert für Recoil.“ Sofort schickte Alan eine E-Mail an Joe und bekam eine begeisterte, wenn auch ein wenig überraschte Antwort. Richardson: „Eines Tages saß ich an meinem Computer, als plötzlich eine E-Mail von Alan Wilder einging. Sie war sehr kurz, er schrieb nur, dass er mein Songwriting mag und fragte an, ob ich an einer Kooperaton interessiert sei. Mir wird häufig vorgeworfen, dass meine Musik zu finster ist; als ich seine Sachen hörte, dachte ich mir also: „Wow, das könnte eine wirklich coole Zusammenarbeit werden.’“
Die ersten gemeinsamen ‚subHuman’-Sessions fanden im Mai 2006 mit Wilder , Paul „PK“ Kendall (Engineer und Sounddesigner) und Hepzibah Sessa (Wilders Ehefra und persönliche Assistentin) in den Texas Treeford Studios in Austin statt. Außerdem wollte Alan mit Drummer Richard Lamm und Bassist John Wolfe arbeiten, um sowohl das Performance-Element wie zusätzliches Material für Loops und Samples zu sichern.
Nach umfangreicher Recherche ging ihm auch die englische Sängerin Carla Trevaskis ins Recoil-Netz. Sie hat bereits mit so unterschiedlichen Künstlern wie Fred de Faye (Eurythmics), Cliff Hewitt (Apollo 440) und Dave McDonald (Portishead) gearbeitet und bringt ihre ausdrucksvolle stimmliche Reichweite und Kontrolle in ‚subHuman’ ein. Mit ihrer enthusiastischen Herangehensweise lieferte Carla die Leadvocals zu zwei Stücken sowie Backing Vocals zum ganzen Album.
Carla: „Ich kannte Alans Arbeit bei Depeche Mode, doch Recoil war neu für mich. Das erste, was mir auffiel, war die unglaubliche Produktion und seine Liebe zum Detail. Außerdem klangen die Saitenarrangements so wunderschön und episch. Mir gefällt, wie Alan die Stimmung vorgibt und dich auf eine emotionale Reise entführt.“
Mit viel cut und paste manipulierte Wilder seine ungewöhnlichen Orchestrierungen so, dass dabei die panoramische Partitur des Albums herauskam. Gemeinsam mit PK machte er sich daran, das Album noch vor den Weihnachtsferien abzumischen. Im Februar 2007 entstand ein Mix im . Surround Sound (ein Sammler-DVD-Paket inklusive Enhanced Stereo-CD, der 5.1-Version und exklusiver Ambient-Bearbeitung des gesamten Albums ist ebenfalls geplant). E
ine ambitionierte und bahnbrechende Erweiterung des traditionellen Albumformats – und das Ergebnis ist ein allumfassende Athmosphäre, die den Hörer einhüllt und es ihm ermöglicht, die cineastische Qaulität und die Effekte, aus denen jeder einzelne Song besteht, ganz auszukosten. Wilder ist und bleibt ein Meister darin, ganz verschiedene und eklektische musikalische Stilrichtungen und häufig kontroverse Themen zu mischen. So ist auch „ subHuman “ wieder ein Album mit einer komplexen klanglichen Bilderwelt und kraftvollen Dynamik geworden.
„Eine Platte abzuschließen ist immer ein konzeptionelles Puzzle, der Versuch, Sinn in dem zu finden, was andere einbringen. Meistens entwickelt sich eine gewisse Logik, wenn man die richtigen Leute zusammenbringt und sie ihren eigenen poetischen Fähigkeiten überlässt. Gegen Ende eines Projekts entsteht dann auf ganz natürliche Weise ein – wenn auch lockeres – Konzept, das Möglichkeiten für Titel und Artwork vorgibt. In diesem Fall schienen Joes Texte sich mit den Auswirkungen religiöser Doktrinen auseinanderzusetzen, auch mit körperlicher und geistiger Wiedergeburt. Zusammen mit Carlas ‚Gebeten’ und ihrem Text zu ‚Intruders’ brachte mich das auf das Konzept des ‚Untermenschen’ – unliebsame Lebensformen, angeblich wertlose, austauschbare Menschen, die in den Augen der Mächtigen als moralisch degeneriert gelten, geschaffen durch die Tragödie unserer Welt.“
‚subHuman’ fordert uns auf, nach innen zu schauen und die Essenz dessen herauszufiltern, was uns menschlich macht – und, vielleicht noch wichtiger, was uns dazu bringt, andere zu unterwerfen, manchmal mit den brutalsten Konsequenzen. Es gibt immer jemanden, in dessen Augen wir ‚subHuman’ sind.„